LOSER BITTE INS LICHT
Eigentlich wollte ich im Internet nur etwas über losen Tee in Metalldosen recherchieren, als ich mitten in einem DLF Audiobeitrag über Loser in der Literatur gelandet bin. Autor Dirk Fuhrig erläutert, dass sich „der männliche Versager“ in den letzten Jahren zur Lieblingsfigur deutschsprachiger Romane entwickelt habe.
Männliche Protagonisten also, die scheitern: an sich selbst, an der Gesellschaft, an der Moderne, an Veränderung und Fortschritt, an den Frauen und letztlich am Leben selbst. Oha. Herr Stettler, Hartmut Trössner, Franz und und und. Ich kenne all diese Figuren nicht und habe ihre Romane auf meine Bibliotheksliste gesetzt. Mal sehen.
Loser Figuren interessieren mich tatsächlich, allerdings definiere ich sie anders. Wenn ich die Figuren in den Texten meiner Klient*innen analysiere, sind das diejenigen Figuren, die zwar einen Namen haben (wenngleich meist nur einen Vornamen), ansonsten aber eindimensional fleischlos sind und noch nicht ins Leben geschrieben wurden. Diese Figuren scheitern permanent daran, von ihren Autor*innen beachtet zu werden. Kühl, trocken und lichtgeschützt gelagert wie loser Tee warten sie in der Dunkelkammer zwischen den Manuskriptseiten auf ihren Einsatz. Als Coach entwickle ich dann eine Art literarischen Mutterinstinkt. Ich will eine solche Figur so schnell wie möglich raus aus der Dunkelkammer ins Plotlicht holen und rein ins heiße Handlungswasser werfen, damit sie sich entfaltet. Dafür braucht sie allerdings genügend Platz in der Szenenkanne, damit ihr Charakter lebendig wird. Und natürlich ist auch die Ziehzeit wesentlich. Zieht Tee zu lange, wird er bitter. Und auch eine Figur muss man rechtzeitig wieder aus der Szene ziehen lassen, damit man sie vermisst und sich schon auf die nächste Tasse freut.
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