07. November 2020

A NEW PAGE FOR AMERICA

Soeben haben es die großen TV-Sender Amerikas verkündet: Joe Biden ist der 46. Präsident der USA. Und Hilary Clinton hat sofort reagiert und getwittert, dies sei „a new page for america“. 

Ich blättere die vielen pages dieses „amerikanischen Wahlthrillers“ zurück. So hat das Handelsblatt am 4. November in seinem morning briefing die Wahl bezeichnet und darin unter anderem geschrieben, Biden sei nicht „der Anti-Held der demokratischen Stammklientel“.

Ich fand es ungeheuer spannend, wie in diesem Thriller die klassische Zuordnung von Held und Antiheld, von Protagonist und Antagonist durcheinander gewirbelt wurde. 
So kann ich Präsident Trump als typischen Protagonisten sehen, der mit seinem Handeln im Mittelpunkt steht und dessen Antagonist Biden alles daran setzt, ihn an seinem Vorhaben einer zweiten Amtszeit zu hindern. 

Trump wiederum wurde in den Medien immer wieder als Antiheld bezeichnet, was allein schon deshalb skurril ist, weil der typische Antiheld ambitionslos ist und eher ein loser als ein winner. (Trumps Nichte wiederum bezeichnet ihren Onkel als loser). 
Aber auch Biden ist natürlich nicht ambitionslos. Dennoch entspricht er dem Bild des typischen Antihelden wesentlich mehr: er ist mit vermeintlichen Schwächen ausgestattet (sein Stottern, das er als Teenager durch das Auswendiglernen und Rezitieren von Gedichten überwunden hat), er zeigt seine menschlichen Wunden (der Unfalltod seiner Frau und Tochter, der Krebstod seines Sohnes) und er erreicht trotz enormer Hindernisse letztlich sein Ziel. 

Noch etwas? Gern! In den Krimis des US-amerikanischen Autors Andrew Shaffer (vor wenigen Tagen ist der zweite Band bei Droemer erschienen) jagt der Ich-Erzähler namens Joe Biden gemeinsam mit seinem coolen Kumpel Obama Verbrecher. 
Daran musste ich denken, als ich heute am Eingang zum Poststadion in Moabit dieses Graffiti entdeckt habe. 

Ich hoffe inständig, dass der Wahlthriller in den kommenden Tagen nicht gewaltvoll eskalieren wird und dass stattdessen tatsächlich a new page aufgeschlagen werden wird – am besten in einem neuen Genre.

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