ABSCHIEDE & GEBURTEN
Seit dieser Woche bin ich wieder zurück an meinen Arbeitsplätzen. Und gleich am Mittwoch war Start meiner LyrikLounge, in dessen Zentrum dieses Mal der Lyriker Tomas Tranströmer steht, der 2011 den Literaturnobelpreis erhalten hat und letztes Jahr gestorben ist. Für den ersten Termin habe ich unter anderem eine Film-Dokumentation über ihn ausgewählt, in der auch eines seiner Gedichte zu hören ist, in welchem er sozusagen die Geburt eines Gedichts beschreibt:
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Phantastisch zu spüren, wie
mein Gedicht wächst
während ich selber schrumpfe.
Es wächst, nimmt meinen Platz ein.
Es verdrängt mich.
Es wirft mich aus dem Nest.
Das Gedicht ist fertig.
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Dies ist umso berührender, als Tranströmer seit seinem Schlaganfall 1990 nicht nur halbseitig gelähmt war, sondern jahrelang unter Aphasie litt und es später, als die Wortfindungsstörung sich etwas gebessert hatte, immer sehr lange gedauert hat, bis er die richtigen Worte für seine Gedichte, die in ihm waren, hat finden können.
Und bis zu seinem Tod hat seine Frau Monica für ihn das ausgesprochen, was er ihr anhand eines kunstvollen Kommunikations-Systems aus Nicken und Kopfschütteln vermittelt hat, beispielsweise in Interviews.
In der Dokumentation kommt außerdem der Schauspieler Krister Henriksson zu Wort. Er ist nicht nur einer der Darsteller von Kommissar Wallander, sondern auch seit Jahrzehnten beeindruckt von Tranströmers Lyrik. Er habe geweint, sagt er, als er vom Nobelpreis erfahren habe und er lese nach wie vor jeden Tag in Tranströmers Gedichten – auf dem Weg zu Proben, in Theaterpausen etc.
Nach dem Seminar am Mittwoch Abend, als ich – noch verwoben in Tranströmers Lyrik – ein wenig fernsehen will und die Programme durchschalte, kann ich es kaum glauben: es läuft tatsächlich gerade das Finale der letzten Wallander Staffel mit Henriksson in der Hauptrolle. Der Titel ’Abschied’ bezieht sich auf Wallander, der Anzeichen von Alzheimer an sich feststellt und seinen Dienst quittiert.
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Ein Dichter, in dessen Kopf sich Wörter verabschiedet haben.
Ein Kommissar, der seiner eigenen Auflösung zusieht.
Ein Gedicht, das seinen Dichter verabschiedet.
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Für Tranströmer war Reduktion zentrales Anliegen seiner Kunst.
Ist der Tod in gewisser Weise die vollendete Reduktion eines Lebens? überlege ich und denke außerdem: Wie wunderbar, dass ein liebender Mensch die unsichtbaren Gedanken des Geliebten als sichtbare Worte gebären kann.
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