13. März 2015

ANDORRA EINGETROFFEN!

andorraSeit einigen Tagen bin ich in Düsseldorf. Und vorgestern auf dem Weg zum fft Freies Theater komme ich an einem Briefmarken- und Münzgeschäft vorbei, in dessen Schaufenster ein mit zittriger Hand geschriebener Zettel klebt. ’Andorra eingetroffen’ steht da.

Denken Sie beim Namen Andorra ebenfalls als erstes an Max Frisch und sein gleichnamiges Drama? Ich sehe sofort das blaue Suhrkamp Taschenbuch vor mir, während ich noch spekuliere, dass vermutlich besondere Briefmarken aus Andorra gemeint sind (und später herausfinde, dass seltene Briefmarken aus Andorra bis zu 1.000 US Dollar wert sind.)

In seinem Stück Andorra erzählt Frisch vom jungen Andri, der von seinem Vater unehelich mit einer Ausländerin gezeugt wurde und deshalb von diesem als jüdischen Pflegesohn ausgegeben wird. Die Bewohner Andorras begegnen Andri permanent mit Vorurteilen, so dass er, selbst nachdem er seine wahre Herkunft erfahren hat, an der ihm zugewiesenen jüdischen Identität festhält. Schließlich wird er durch ein rassistisches Nachbarvolk ermordet.

Andorra sei der Name für ein Modell, sagte Frisch, der auch in diesem Stück – am Beispiel des Antisemitismus – seine Hauptthemen umkreist: die Auswirkung von Vorurteilen, die Schuld der MitläuferInnen und die Frage nach der Identität eines Menschen gegenüber dem Bild, das sich andere von ihm machen.

Diese Gedanken begleiten mich ins Theater zur Premiere von WE FORGOT, einer begehbaren Video-Installation der israelischen Künstlerin Sharon Paz in Kooperation mit der Performance-Gruppe cultura. WE FORGOT wird im Rahmen der Jüdischen Kulturtage gezeigt und visualisiert das Zusammenspiel von Machtstrukturen, geschichtlichen Ereignissen und individuellen Erfahrungen.

Andorra ist ein Stück in 12 Bildern. WE FORGOT eine Performance in 8 Bildern. Andorra ist als Modell konzipiert, WE FORGOT als Muster. In Andorra haben die Figuren keine Namen (von Andri und seiner Geliebten abgesehen). In WE FORGOT werden die erzählten Erinnerungen keinen Namen zugeordnet. In Andorra wird es dem Publikum erschwert, sich zu distanzieren, denn die SchauspielerInnen versuchen dem Publikum in direkter Ansprache ihr Fehlverhalten zu erklären. In WE FORGOT werden wir Zuschauer*innen von Anfang an Teil der Performance, indem wir in kleinen Szenen mitspielen und unsere Schatten auf großen Leinwänden mit den vorproduzierten Szenen und den live agierenden PerformerInnen verschmelzen.

Ich bin über all diese Verbindungen verblüfft und habe das Gefühl, dass Andorra lebt.

Oder man könnte auch sagen: Andorra eingetroffen!

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