BETREIBE ICH ZENSUR?
Ich bin wieder zurück aus der Sommerpause und hoffe, Sie hatten angenehme Wochen! Waren Sie vielleicht auch auf der documenta? Und haben dort die Installation der argentinischen Künstlerin Marta Minujín „The Parthenon of Books“ gesehen? Minujín hat den größten Tempel der Athener Akropolis maßstabsgetreu als Metallgerüst nachbauen lassen und um die Säulen Tausende von Bücher angebracht, die von weitem wie kleine Mosaiksteinchen aussehen. Alle Bücher waren zu irgendeiner Zeit in irgendeinem Land zensiert und der Platz, an welchem „The Parthenon of Books“ aufgestellt wurde, ist der Platz direkt vor dem Friedericianum. Hier fand am 19. Mai 1933 eine der zahllosen Bücherverbrennungen statt.
Die Installation, die vorab stark in der Aufmerksamkeit der Medien stand, hat mich in ihrer Umsetzung und auch ästhetisch enttäuscht. So haben die vielen Gerüststützen den „Tempel“ eher wie eine Baustelle aussehen lassen und nahezu alle Titel waren aktuell lieferbare ungelesene Ausgaben, Spenden von Verlagen, teilweise Hunderte Male vertreten und alle eingeschweißt wie lieblos verpackte Remittenden. Bücher wie Der Tod in Venedig, Lolita oder Das siebte Kreuz – fast keine Bücher aus anderen Kulturkreisen. Aber das Thema der zensierten Bücher beschäftigt mich weiter.
Glücklicherweise leben wir in einem Staat, der keine Bücher zensiert. Aber wie steht es mit der Selbstzensur? Ich frage mich, welche Bücher ich mir selbst zu lesen verbiete. Bücher, die meine „Gesinnung“ ändern, die Grundfeste meines Denkens ins Wanken und mich auf Gedanken bringen könnten, die mein staatliches Ego mir verbieten möchte.
Noch bin ich nicht darauf gekommen, welche es sein könnten. Aber da dies natürlicherweise unbewusst passiert, ist es auch nicht so leicht zu erkennen. Was meinen Sie?
Und: wie ist das bei Ihnen? Haben Sie das Gefühl, dass Sie sich eine bestimmte Art von Lektüre verbieten?
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