C. (VERSPROCHEN: ES IST NICHT DIESES „C“-WORT)
Vorgestern bin ich mit einem Traumbild aufgewacht: ich rannte atemlos einen unendlich langen Weg entlang und hielt in meinen Armen ein riesengroßes schweres Buch mit Ledereinband, eine Art Bibel.
Ich wusste, dass dieses Buch verletzt worden war, denn seine Ecken waren erschreckend aufgeschrabbt und die Scharniere lose und nicht mehr funktionsfähig.
Beim Aufwachen war mir sofort klar, dass dieses Traumbild in enger Verbindung steht mit Fragen, die mich momentan umtreiben. Fragen nach dem Wert, den wir Büchern beimessen. Und den bewussten und unbewussten Kriterien, die wir dabei anwenden.
Zwei TV-Beiträge haben mich dazu angeregt, die ich vor rund 14 Tagen am selben Tag gesehen habe:
Erstens ein Beitrag über das Herzstück der Frankfurter Buchmesse, die Hallenausstellung, die dieses Jahr corona-bedingt ausfallen wird.
Und zweitens einen Beitrag über die berühmteste deutsche Liederhandschrift des Mittelalters, den Codex Manesse (von Germanist*innen übrigens liebevoll als „C.“ bezeichnet- Ah: der Blog-Titel!).
Dieser Codex wurde nun aus der Heidelberger Universitätsbibliothek an das Landesmuseum Mainz ausgeliehen. Eine solche Ausleihe erfolgt lediglich alle 14 Jahre, in speziellen Klimakisten, unter strengem Polizeischutz und dieses Mal mit einer Versicherungssumme von 80 Millionen Euro.
Unzugänglichkeit ist natürlich ein Faktor, der den Marktwert erhöhen kann.
Aber wieviel ist ein solcher Codex wert?
Klassischerweise würde man argumentieren, dass er von unermesslichem Wert ist, weil er uns auf einmalige Weise bereichert, indem er uns die Welt des Mittelalters nahebringt.
Aber für wie viele Leser*innen – und ich meine damit nicht die Wissenschaftler*innen – ist das Wissen über diese mittelalterliche Welt tatsächlich wertvoll? Während es umgekehrt jede Menge Stapelware-Bücher gibt, die das Leben dieser Leser*innen weit mehr bereichern als es der Codex Manesse es jemals könnte.
Jetzt stelle ich mir vor, dass Sie den Kopf schütteln. Und ja, ich weiß, irgendetwas stimmt nicht an dieser Argumentation. Und doch: ich merke, dass mich diese bildungsgradabhängige Wertschätzung von Leser*innen immer wieder ärgert.
Aber zurück zu meinem Traum: ich frage mich, was ich mit dem verletzten Buch vorhatte. Wollte ich es retten, reparieren oder irgendwo verstecken? Oder wollte ich es in ein Museum bringen oder in eine Ausstellung?
Gehört ein solches Buch ins Museum oder auf eine Messe? Was denken Sie?
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