07. Oktober 2012

DER ALLWISSENDE ERZÄHLER

„Da wächst was nach.“ und: „Die Achtziger sind da.“ titelt die ZEIT und meint damit „Deutschlands jüngste Autorengeneration“, deren Autor*innen jetzt um die dreißig Jahre alt sind.

In den 90er Jahren des vorigen Jahrtausends wiederum wurde die letzte so genannte Autorengeneration geboren, vermarktet unter dem Label „Popliteratur“. Dazu gehörten „Fräuleinwunder“ Judith Hermann ebenso wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Elke Naters, Alexa Hennig von Lange, Sibylle Berg oder Christian Kracht.

Kracht, damals mit seinem Erstling Faserland bekannt geworden, ist spätestens jetzt – man könnte sagen: sprachlich aufgestiegen. Er gehört nun nicht mehr der „jüngsten“, sondern der „jüngeren“ Autorengeneration an und erhält, wie in dieser Woche bekannt wurde, den Wilhelm-Raabe-Preis (der mit 30.000 Euro höchstdotierte Literaturpreis Deutschlands) für seinen Roman „Imperium“, ein bitteres Gleichnis dafür, wie der deutsche Idealismus des frühen 20. Jahrhunderts umschlägt ins Herrenmenschentum.

Namensgeber ist der gesellschaftskritische Schriftsteller Wilhelm Raabe (1831 bis 1910) und es herrscht in der aktuellen Diskussion um Krachts Imperium durchaus Uneinigkeit darüber, in wieweit sein Roman gesellschaftskritisch im besten Sinn ist oder man vielleicht sogar rechtes Gedankengut in ihm entdecken könne.

Die Autoren der Popliteratur wurden damals als unpolitisch, deren Literatur als anspruchslos betrachtet. Heute, 20 Jahre später, sieht es die Literaturkritik schon anders und erkennt hinter dem ’neuen Konservatismus‘ und dem politischen Desinteresse ein klares Ziel: Das verspätete und mehr als notwendige Aufbegehren gegen die Meinungsmacht der 1968er und deren politischen Nachfolgeorganisationen wie Die Grünen.

Kracht ist seinen sprachlichen Weg konsequent weiter gegangen. Er beherrscht das, was man auf Englisch „Tongue in Cheek“ nennt: Das ironische, anspielungsreiche, mitunter uneindeutige Schreiben. Ergebnis von Krachts Auseinandersetzung mit englischsprachigen Vorbildern und mit der Popkultur und ihrem vieldeutigen Spiel mit Zeichen und Verweisen. Dies ist wohl auch Folge der Tatsache, dass Kracht einen Großteil seines schriftstellerischen Lebens auf anderen Kontinenten verbracht hat, weit weg vom deutschen Literaturbetrieb mit seinen Sprachregelungen und wohl geordneten Codes, schreibt der SPIEGEL.

Eine dieser Sprachregelungen besagt beispielsweise, dass man heutzutage keinen Roman aus der auktorialen – der allwissenden – Erzählperspektive schreiben „darf“. Kracht tut es dennoch und „imitiert mit größter Lust und Präzision den allwissenden Erzähler des 19. Jahrhunderts, der sich der Parteinahme vornehm enthält, mit heiterer Souveränität Rückblenden einbaut oder einem zukünftigen Ereignis vorgreift, das Geschehen ab und an kommentiert und den Leser mit größter Selbstgefälligkeit am Interieur der Räume wie am Naturschauspiel der Ferne in verschachtelten Endlossätzen teilhaben lässt.“

So fasst die ZEIT diese Erzählperspektive wunderbar zusammen, wie ich finde. Und vielleicht wird diese „prachtvolle Künstlichkeit“ tatsächlich Vorbild sein für andere Autor*innen, sich an diese besonders schwierige Erzählperspektive heran zu wagen.

Autor*innen der jüngsten Generation vielleicht?

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