11. November 2012

DER BUCHHÄNDLER ALS SONDERLING

„In einer schmalen, sonnenlosen Gasse Barcelonas lebte vor nicht allzu langer Zeit einer von jenen Männern mit bleicher Stirn, trüben, eingesunkenen Augen, eines von jenen sonderbaren, satanischen Wesen, wie Hoffmann sie in seinen Träumen fand.“

Dies ist der erste Satz einer Erzählung, die ich in dieser Woche geschenkt bekommen habe. Der Autor ist sehr berühmt, allerdings nahezu ausschließlich durch sein Hauptwerk. Diese kleine Geschichte ist zwanzig Jahre zuvor, 1837, in der Zeitung seiner Heimatstadt Rouen erschienen. Seine erste Veröffentlichung überhaupt. 15 Jahre alt war er damals.

Die Hauptfigur, die in diesem ersten Satz charakterisiert wird, ist von Beruf Buchhändler. Und natürlich haben wir es mit einem klassischen Buchhändler-Klischee zu tun: bleich (weil nicht an der Sonne, weil drinnen beim Lesen), eingesunkene Augen (weil zu wenig Schlaf, weil bis in die Nacht hinein gelesen) und – auf den Punkt gebracht – ein Sonderling.

Der Autor heißt Gustave Flaubert, die Erzählung heißt Bücherwahn und mit der Anspielung auf E.T.A. Hoffmanns satanische Figuren könnten die Elixiere des Teufels gemeint sein oder aber Figuren wie Peregrinus Tyss, der frauenscheue Träumer aus Meister Floh (denn frauenscheu sind diese Buchhändler natürlich ebenfalls, weil keine Zeit, den Umgang mit Frauen zu üben, weil ständig am Lesen).

In meiner eigenen Zeit als Buchhändlerin bin ich solchen prototypischen Sonderlingen tatsächlich immer wieder begegnet: Männer zwischen 50 und 60, meist unverheiratet, mit Mundgeruch, kommunikationsscheu, auch im Sommer in langärmeligen Pullovern, immer hilfsbereit, mit bewundernswertem Gedächtnis, echter Leidenschaft für Bücher und entsprechend kurz davor, ein Bücherwahnsinniger zu werden.

Kennen Sie ebenfalls solche Buchhändler? Und wann sind Sie zum letzten Mal einem solchen Exemplar begegnet?

P.S.: E.T.A. Hoffmann ist übrigens bis heute Vorbild für viele Autoren (ja, es scheinen tatsächlich ausschließlich Männer zu sein!), so beispielsweise für Ingo Schulze und Uwe Tellkamp, in dessen Turm er die Aufführung einer dramatisierten Fassung von Hoffmanns Goldenem Topf im Dresden der 1980er Jahre beschreibt.

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