30. Oktober 2011

FRAU, VOM SCHREIBEN BESESSEN

In dieser Woche hat eine Ausstellung stark in mir nachgewirkt: Die Hokusai-Retrospektive im Martin Gropius Bau. Unabhängig davon, dass mich japanische Kultur insgesamt stark beeindruckt, war ich auf besondere Weise fasziniert davon Hokusais Drucke im Original zu sehen. Außerdem gab es viele literarische Bezüge: Die Namen, die er vielen seiner Bilder gab, muten an wie kleine Geschichten. Für die so genannten kibyoshi, die Populärromane, fertigte er über 1000 Illustrationen an. Er illustrierte die berühmten Scherzgedichte (kyoka) und machte den Begriff Manga bekannt, wobei seine Manga keine zusammenhängenden Geschichten erzählen, sondern Momentaufnahmen der japanischen Gesellschaft darstellen.

Besonders beeindruckt hat mich die Tatsache, dass Hokusai sich im Laufe seiner rund 50jährigen Laufbahn als Künstler mehr als 30 verschiedene Namen gegeben hat. War er in einer neuen künstlerischen Phase oder hat sich anderen Schwerpunkten und Themen gewidmet, hat er entsprechend seinen Namen geändert. Für ihn war zentral, sich künstlerisch weiter zu entwickeln. Dies sollte auch durch einen anderen Namen sichtbar sein. Mich erinnert das an die Häutung einer Schlange. Die künstlerische Zeit ist reif für einen neuen Namen.

In Deutschland haben wir per Gesetz das Recht, uns einen KünstlerIn-Namen zuzulegen und ihn in unserem Pass eintragen zu lassen – allerdings nur, wenn wir mit unserem künstlerischen Schaffen Geld verdienen, was im Übrigen erschreckend deutlich zum Ausdruck bringt, dass eine „echte“ Künstlerin nur eine ist, die mit ihrer Kunst auch Geld verdient…

Würden wir allerdings unseren Namen häufig wechseln wollen, so würde die Gesellschaft ein solches Verhalten sicherlich nicht so sehr als Ausdruck einer ernsthaften Weiterentwicklung betrachten, sondern vielmehr als unstetes Verhalten eines Möchte-Gern-Künstlers, der offensichtlich nicht weiß, wer er eigentlich ist.

Natürlich gibt es viele Autor*innen, die unter mehreren Namen veröffentlichen. Aber dabei handelt es sich um Pseudonyme. Und der Grund hierfür ist praktisch immer, dass es die meisten Leser*innen offensichtlich nur schwer akzeptieren können, dass beispielsweise ihre geliebte historische Romanautorin parallel auch Kinderbücher oder wissenschaftliche Essays schreibt.

Auch aus diesem Grund hat Doris Gercke unter dem Namen Marie-Jo Morell Romane geschrieben, als sie sich ihrer Krimihaut entledigen wollte. Und deshalb veröffentlicht der Schweizer Philosoph Peter Bieri seine philosophischen Bücher unter seinem Geburtsnamen und seine Romane unter dem Pseudonym Pascal Mercier.

Interessant dabei ist, dass das Pseudonym-Geheimnis meist dann gelüftet wird, wenn sich der Bekanntheitsgrad der Autor*innen oder der neuen Phase gefestigt hat.

Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn Autor*innen sich auf Hokusai berufen würden und eine Art künstlerisches Grundrecht auf Namensänderung einfordern würden.

Sofort kommt einem der Gedanke, ja, aber woher wissen dann die Leser*innen, wer dahintersteckt? Und wäre das für den Verlag nicht fatal? Kaum ist der Bekanntheitsgrad einer Autorin aufgebaut, schon wechselt sie den Namen? Dann kauft ja keiner die Bücher.

Dieses Problem war auch Hokusai nicht fremd. Als er in Geldnöten war und kaum Jemand seine Bilder kaufte, weil Niemand wusste, dass ER sie gemalt hatte, ergänzte er seinen neuen Namen mit der Formulierung „vormals Hokusai“.

Und das erinnert einen doch sofort an den Sänger Prince, der 1993 bekannt gab, dass er seinen Künstlernamen in „O(+>“ umändere, ein unaussprechbares Symbol. In den Medien wurde Prince nun als „The Artist Formerly Known As Prince“ bezeichnet, während er neue Plattenverträge unter dem Namen „Symbol“ abschloss, um 2000 wieder zu seinem Namen „Prince“ zurückzukehren.

Auch Hokusai, der sich zu Beginn seiner Laufbahn „Mann, vom Malen besessen“ nannte, kehrte am Ende seines Lebens wieder zu seinen Anfängen zurück. Er nannte sich nun „alter Mann, vom Malen besessen“.

Und jetzt stellen Sie sich bitte mal vor, Sie ziehen in einer Buchhandlung einen Roman aus dem Regal. Sie lesen den Titel und dann den Namen der Autorin. Er lautet: Alte Frau, vom Schreiben besessen.

Wäre das nicht wunderbar?

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