IST DER WEIHNACHTSMANN SOZIALFÄHIG?
Vermutlich ist es eine Form von déformation professionelle: jedes Jahr, wenn ich die ganzen Nikoläuse und Weihnachtsmänner sehe, frage ich mich, welcher der beiden als Figur in einem Roman interessanter und ergiebiger wäre.
Sie wissen, wenn Sie eine klassische Geschichte erzählen, braucht Ihr Protagonist einen zentralen inneren Konflikt, der sich am Ende gelöst haben wird. Und tatsächlich ist DIESE Frage in meinem jährlichen Weihnachtsratespiel für mich immer wieder die spannendste: Was ist der zentrale Konflikt des… sagen wir mal… des Weihnachtsmanns? Was würden Sie sagen?
Vielleicht sein hin und hergerissen sein zwischen dem altruistischen Drang, Anderen Freude machen zu wollen und der Sehnsucht, selbst einmal beschenkt zu werden und mit anderen zu feiern? Hat er ein Helfer-Syndrom? Tut er das alles, um geliebt zu werden? Und wenn ja, ist ihm seine Rolle als ’Schenker’ so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er mittlerweile die Fähigkeit verloren hat, Geschenke anzunehmen? Ist er überhaupt noch sozialfähig? Wann hat er das letzte Mal unter seinesgleichen gefeiert? Oder ist er im Grunde ein einsamer Mensch, der seine Einsamkeit hinter der Maske des fröhlichen Schenkers verbirgt? Und sind seine roten Wangen in Wirklichkeit Zeichen seines Alkoholismus? Und so weiter… und so fort…
So stehe ich also auch dieses Jahr wieder in den Kassenschlangen der Supermärkte. Neben mir Hunderte dieser Protagonisten und in mir all diese Gedanken. Damit werde ich wohl leben müssen.
Sie haben recht, es gibt Schlimmeres. (Der innere Konflikt des Nikolaus beispielsweise, HO HO HO!)
zurück