„KOMM, HALTE MIR EINEN MONOLOG! ICH WILL ZUHÖREN.“
Vorgestern habe ich einen Workshop im Rahmen einer Mediationsausbildung geleitet. Thema: Perspektivwechsel. Dieser spielt sowohl in der Mediation als auch im Kreativen Schreiben eine zentrale Rolle.
Um mich in eine andere Figur, Person, Konfliktpartei hineinzuversetzen, muss ich einen Perspektivwechsel vornehmen. Ich muss von meiner eigenen Sicht auf die Welt, die Dinge, den Konflikt absehen können und in die Gefühls- und Gedankenwelt meines Gegenübers so authentisch wie möglich eintauchen.
Eine wunderbare Möglichkeit dafür ist der Innere Monolog. Im Inneren Monolog wird die Gefühls- und Gedankenwelt – man könnte auch sagen: das mindset – einer Figur in ihrer Vielschichtigkeit so deutlich wie nirgendwo sonst.
Wenn es mir gelingt, einen Inneren Monolog aus der Perspektive eines Menschen zu schreiben, der mir in seinen Ansichten sehr fremd ist, dann wird dies zum Verständnis und somit zum Dialog beitragen.
Der berühmteste Innere Monolog der Literaturgeschichte (hier als stream of consciousness bezeichnet) ist wohl Mollys Monolog im Ulysses von James Joyce. Im letzten Kapitel des Romans lernen wir die faszinierende Innenwelt von Molly, der Frau des Protagonisten Leopold Bloom kennen, und zwar ganze 70 Seiten lang. (Nicht umsonst ist dieser Monolog eine der herausfordernsten Frauen-Rollen im Theater.)
Der Monolog als Kommunikationsform ist in unserer Tradition tendentiell negativ besetzt und dies nicht ohne Grund. Sicherlich kennen Sie ebenso wie ich Menschen, die dazu neigen, egozentrische Monologe zu halten und kaum nach ihrem Gegenüber fragen.
Und auch ein weiteres Merkmal des Inneren Monologs, das ’Reden (beziehungsweise Schreiben) ohne Punkt und Komma’, ist negativ konnotiert, weil es ebenso rücksichtslos gegenüber der Aufnahmefähigkeit des Gegenübers sein kann.
Umso wichtiger ist mir, auch einen positiven Blick auf das Monologisieren zu werfen. Dann nämlich, wenn es darum geht, einen anderen Menschen zu verstehen und mich in ihn hineinzuversetzen.
Entsprechend gefreut habe ich mich über ein Zitat aus Leonce und Lena, das momentan als Plakat im Foyer der Berliner Schaubühne hängt :„Komm, halte mir einen Monolog. Ich will zuhören.“ Das gefällt mir sehr.
P.S.: am 16. Juni ist Bloomsday, der Tag an welchem der Ulysses spielt und der auch in Berlin wieder gefeiert werden wird. Und wer weiß, vielleicht wird sogar Mollys Monolog zu hören sein.
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