UND IMMER WIEDER DER SINN
Gleich an meinem ersten Arbeitstag in diesem neuen Jahr werde ich mit einem Fotomotiv für meine Sammlung ’Lesezeichen’ beschenkt. Die entsprechende Leserin in der U-Bahn ist mir vor allem deshalb sofort aufgefallen, weil sie so jung und die Herder-Taschenbuch-Ausgabe, in der sie liest, so alt ist. Viktor Frankls Klassiker ’Das Leiden am sinnlosen Leben’.
Während des Lesens macht sie immer wieder Notizen in das Buch, es kann also keine Bibliotheksausgabe sein. Ein Exemplar aus dem Buchregal ihrer Eltern? Aus einem Antiquariat? Außerordentlich unwahrscheinlich, dass diese Frau in ein Antiquariat gehen würde, um dort gezielt nach diesem Buch zu fragen. Ein Zufallsfund vielleicht?
Schon seit Jahren ist mir Frankls Logotherapie nicht mehr über den Weg gelaufen. Dass dies ausgerechnet an meinem ersten Arbeitstag im neuen Jahr passiert und außerdem in Form eines Buches, gefällt mir natürlich außerordentlich, wie Sie sich denken können. Denn gerade ein neues Jahr lädt ja auf besondere Weise dazu ein, den Sinn des eigenen Lebens zu überprüfen.
Für Frankl ist die Sinnfrage eine zutiefst menschliche. Und bereits er hat über das Phänomen der reichen Industrieländern geschrieben, bei denen sich „trotz Überbefriedung aller menschlicher Grundbedürfnisse“ gerade diese Frage immer wieder stelle.
Das Viktor Frankl Institut in Wien schreibt: Die Logotherapie und Existenzanalyse „ist von dem Gedanken getragen, dass Sinn eine Wirklichkeit in der Welt ist und nicht nur im Auge des Betrachters liegt. Demnach ist der Mensch durch seine Willensfreiheit und Verantwortungsfähigkeit aufgerufen, das Bestmögliche in sich und der Welt zur Geltung zu bringen, indem er in jeder Situation den Sinn des Augenblicks erkennt und verwirklicht. Wesentlich ist hier auch, dass das Sinnangebot des Augenblicks, obwohl objektiv gegeben, situations- und personengebunden ist und als solches einem fortwährenden Wandel unterliegt.“
Mögen wir alle in diesem neuen Jahr das Bestmögliche in uns und in der Welt zur Geltung bringen. Sei dies privat, beruflich oder aber in unserem Schreiben. Denn das, was wir schreiben, kann uns selbst ebenso wie unsere Leser*innen genau darin unterstützen: diese unsere individuelle Wirklichkeit in der Welt zum Ausdruck zu bringen.
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