13. Mai 2020

WALDEN

Herzlichen Dank für die vielen Lese-Selfies, die mich erreicht haben. Das war wirklich schön, Ihre aktuelle Lektüre (und natürlich Ihr Gesicht) zu sehen. 

Ich bin nach wie vor an meinem Lese-Selfie dran: Walden von Henry D. Thoreau. Und ob ich will oder nicht: auf nahezu jeder Seite finde ich thematische Verbindungen zur aktuellen Kontaktsperren-Zeit, beispielsweise wenn ich vom „Grenzerleben“ lese. (Stopp! Wie haben Sie soeben dieses Wort beim Lesen getrennt? Grenz-Erleben oder Grenzer-Leben?)   

Thoreau hat zwei Jahre lang in einer selbstgezimmerten Holzhütte am Ufer des Waldensees in Massachusetts gelebt, aus Protest gegen das „rastlose, nervöse, geschäftige, triviale neunzehnte Jahrhundert“, wie er in seinen Tagebüchern geschrieben hat, welche die Grundlage seines Essay-Zyklus „Walden“ bilden. 

„Es wäre gut, ein anspruchsloses Grenzerleben zu führen, wenn auch inmitten äußerlicher Zivilisation.“ schreibt er im ersten Kapitel, das den Titel Genügsamkeit trägt. „Und wäre es nur, um die wirklichen Lebensbedürfnisse erkennen zu lernen und zu sehen, auf welche Weise man zu ihnen gekommen ist.“

Ich lebe in keiner selbstgezimmerten Holzhütte, aber versuche ebenfalls, meine wirklichen Lebensbedürfnisse zu erkennen. Und ich befrage mich in diesen Wochen immer wieder auf Neue: wie sieht MEIN Protest aus gegen das rastlose, nervöse, geschäftige, triviale 21. Jahrhundert. Protestiere ich überhaupt? Und welche Form von Protest entspricht mir? 

Wie ist das bei Ihnen, wenn ich fragen darf. 

P.S.: Ach, und unbedingt will ich Ihnen noch einen weiteren Satz aus Walden notieren: „Nicht alle Bücher sind so stumpf wie ihre Leser.“ Das amüsiert mich. 

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