11. Mai 2015

BOBO & BOB

boboNach zwei Wochen Urlaub war meine vergangene Woche stark geprägt durch das Aussortieren meiner gesamten privaten Bibliothek. Ich war wild entschlossen, all meine Bücher durchzusehen und möglichst viele auszusortieren, um sie auf dem gestrigen Kiez-Flohmarkt in Moabit anzubieten. Wer mich kennt, weiß, dass ich im Zeichen der Sammlerin geboren bin und nicht im Zeichen der Aussortiererin. Entsprechend ungewohnt, verbunden mit einer Menge Überlegungen und Abwägungen und mit noch mehr Erinnerungen habe ich mich durch die Tage und Bücherstapel gearbeitet, um schließlich gestern an einem kalten, windigen, grauen Sonntag meine rund 580 aussortierten Bücher anzubieten und zu sehen, was passiert.

Am attraktivsten waren aktuelle Romane und vor allem meine Bilderbücher, die sich im Laufe von vielen Jahren angesammelt hatten und die ich erheblich unter Wert verkauft habe (was mich – ich gestehe – im Nachhinein ein wenig schmerzt. Und hätte ich das eine oder andere Buch nicht doch lieber behalten sollen? (Die Stimme der Sammlerin kann ziemlich mächtig sein, ohja!)).

An den Themen Reise, Frauen, Psychologie, Krimi, Kunst und Literatur gab es nahezu kein Interesse. Und schließlich mussten 7 der 12 gepackten Kisten wieder zurückgebracht werden.

Aber viel wesentlicher: ich habe diese Stunden wahrlich genossen. Habe mich zurückversetzt gefühlt in meine Zeit als Buchhändlerin. Permanentes Bücher aufstellen, umsortieren, gerade oder ungerade rücken. Stundenlanges Stehen, Harndrang und Hungergefühl ignorieren. Mich überraschen lassen, wer als Nächstes auf mich zukommt. Mit Unbekannten ins Gespräch kommen und Bücher empfehlen. Manche BesucherInnen waren auf der Suche nach ganz bestimmten Bücher. „Haben Sie Bücher von Bobo?“ wollte beispielsweise eine Frau wissen. Nein, hatte ich nicht, aber ich wusste immerhin, dass Bobo Siebenschläfer gemeint war.

Das Beste: im Gegensatz zur Buchhandlung konnte ich jederzeit auch Bücher verschenken, wenn mir danach war. „Die wilden Hühner auf Klassenfahrt“ an ein türkisches Mädchen, das dieses Kinderbuch in der Hand hielt und vom Cover fasziniert war. Oder die dicke gelbe Buchkassette mit Romanen von Luise Rinser an die sympathische alte Frau vom Stand nebenan, der ich gleich angesehen hatte, dass sie früher Rinser gelesen hat (und ich hatte recht mit meiner Vermutung.)

Einige Menschen sind mehrmals vorbeigekommen und haben jedes Mal ein paar Bücher gekauft. Und als ich beim Verlassen des Flohmarkts einen dieser Menschen, eine Frau, auf dem nahegelegenen Rasen sitzen und eines „meiner“ Bücher lesen sah und wir uns zugewunken haben, war dies ein besonderer Moment.

Am Abend war ich noch unterwegs zu einer Geburtstagsfeier und habe auf dem Weg dorthin am Bahnhof bei Kamps eine Brezel gekauft (denn mittlerweile konnte ich mein Hungergefühl nicht mehr ignorieren). Beim Bezahlen habe ich einen kleinen Bücherstapel, den ich meiner Freundin mitbringen wollte, auf den Tresen gelegt. Die Kassiererin sagte, die Bücher könne ich gleich dalassen, sie wäre nämlich lesebegeistert. Natürlich habe ich gefragt, was sie denn gern liest. Historisches, sagte sie. Erinnerungen von Zeitzeugen und so. Und momentan lese sie alles über diesen Kater.

Welchen Kater, fragte ich. Aber im selben Moment ahnte ich, welchen sie wohl meint. Also ergänzte ich: den aus England, der mit dem Obdachlosen? Ja, genau, sagte sie. Ich wusste seinen Namen nicht und ihr war er im Moment ebenfalls entfallen. Wir verabschiedeten uns schnell, denn hinter mir warteten bereits mehrere Menschen und leider befanden wir uns nicht in einer Buchhandlung. Aber als ich ein paar Meter entfernt war, rief sie mir nach „Bob heißt er. Bob, der Streuner!“

Hätte die Verkäuferin am gestrigen Sonntag eine andere Arbeitsschicht gehabt, hätte sie vielleicht Lust auf einen Flohmarktbesuch gehabt, wäre an meinem Stand gelandet und hätte gefragt, ob ich Bücher über Bob habe.

Nein, leider hatte ich weder Bücher über Bobo Siebenschläfer noch über Bob, den Streuner.

(Und im Übrigen auch nicht über Bodo Bär, mit dem man spielen und lesen lernen kann. Nach dem hat allerdings niemand gefragt).

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