24. März 2013

DAS RECHT DER LESER/INNEN NICHT ZU LESEN

Gestern hat Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung Salman Rushdie interviewt, der unter anderem über die „internationale Republik der Autoren“ und über die Freiheit als universalen Wert gesprochen hat.

Rushdie hat sich in seiner vor wenigen Monaten erschienenen Autobiografie Joseph Anton die Freiheit eines neuen Namens gegeben – zusammengesetzt aus den Vornamen zweier seiner literarischer Vorbilder, Joseph Conrad und Anton Tschechow. In Joseph Anton schreibt er beeindruckend von den Jahren der Fatwa. Damals war es seine Aufgabe zu kämpfen, wie er sagt: ums Überleben, um seinen Beruf und um „die Freiheit der Kunst, des Wortes, des Lesens.“

Kein Wunder, dass er – wie Frank Schirrmacher im Dezember bei der Buchvorstellung hier in Berlin formulierte – als eine Art „Freiheitsstatue“ gilt, und dies im Grunde bereits seit Erscheinen seiner Satanischen Verse und der Verhängung der Fatwa im Jahr 1989. Und kein Wunder auch, dass der Kauf dieses Buches lange Zeit als eine Art solidarische Geste galt – und meist ungelesen im Buchregal stand.

Vor rund fünf Jahren hat eine britische Umfrage erstmals anhand konkreter Zahlen bewiesen, dass 55 Prozent aller Leser*innen Bücher aus solchen solidarischen oder ähnlichen Gründen kaufen, aber nicht mit dem Ziel, das Buch tatsächlich zu lesen. Und wenn doch, dann gaben sie bei dieser Art des Buchkaufs meist nach wenigen Seiten auf.

Damals belegte „Harry Potter und der Feuerkelch“ einen Spitzenplatz neben „Ulysses“, „Der Alchimist“, „Krieg und Frieden“ und eben den „Satanischen Versen“. Tolstoi und Rushdie verliehen ihrem Bücherregal die gewünschte „intellektuelle Glaubwürdigkeit“, gaben die Nicht-Leser*innen als Grund an.

Und Rachel Cugnoni, Verlegerin bei Random House, hat die Ergebnisse der Studie damals folgendermaßen zusammengefasst: „Viel zu häufig kaufen die Leute Bücher im Glauben, dass sie ‚gut für sie‘ sind, und nicht, weil sie denken, dass sie ihnen Freude machen werden.“

Paul Hindemith hat einmal gesagt, es sei ein Zeichen geistiger Freiheit, einen Bestseller nicht gelesen zu haben.

Und vielleicht kennen Sie die Rechte des Lesers, wie sie Daniel Pennac 1992 in seinem Buch „Wie ein Roman, Von der Lust zu lesen“ postuliert hat:

Das dritte Recht: ein Buch nicht zu Ende zu lesen.

Das zweite Recht: Seiten zu überspringen.

Und das erste Recht? Was glauben Sie?

Genau: Das erste Recht des Lesers ist es, überhaupt nicht zu lesen.

Diese Rechte, so humorvoll sie auf den ersten Blick auch scheinen, haben natürlich auch eine tiefere Ebene und auf dieser viel mit Freiheit zu tun. Was Salman Rushdie wohl über diese Form der Freiheit denkt, die sich seine (Nicht-)Leser*innen nehmen?

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