„DIE SPRACHE IST EINE WAFFE. HALTET SIE SCHARF.“
Vor zwei Wochen habe ich versprochen, Wolf Schneiders aktuelle Deutsch-Stilkunde in der ZEIT mit Ludwig Reimers Kleiner Stilfibel, dem Klassiker aus dem Jahr 1951, zu vergleichen. Mein Versprechen will ich heute einlösen. Aber ich muss Ihnen gleich sagen: weit bin ich nicht gekommen, denn bereits die jeweiligen einleitenden Worte haben es dermaßen in sich!
Reimers nennt seine Einführung „Ein Brief statt eines Vorworts“ und spricht seine Leser (die Leserinnen sind im Zweifelsfall wohl mitgemeint) bereits im Einstiegssatz direkt an: „Warum haben Sie sich dieses Buch gekauft? Sie hätten dafür ungefähr dreißig Tassen guten Kaffee trinken können.“
Ein paar Zeilen weiter macht er großspurig Werbung für sein Buch („Gründlicher als dieser Lehrgang kann kein Schulunterricht sein.“), um dann die Voraussetzungen dafür zu nennen, nämlich das langsame und laute Lesen.
Wenn man nicht laut lesen könne, weil man kein eigenes Zimmer habe, „dann müssen Sie wenigstens so langsam und nachdenklich lesen, wie wenn Sie den Text einem anderen vorzulesen hätten.“ Aha!
Und es geht noch weiter: Bei den Aufgaben genüge es nicht, sich „schnell irgendeine Lösung“ zu überlegen. Vielmehr „müssen Sie die Lösungen in ein besonderes Heft eintragen und sie am nächsten Tag gründlich überprüfen und verbessern.“
Da weht einem die 50er Jahre-Pädagogik direkt entgegen, nicht wahr?
Was aber schreibt Wolf Schneider? Er spricht uns ebenfalls (in)direkt an, indem er ständig das „wir“ benutzt und somit rhetorisch davon ausgeht, dass wir alle seiner Meinung sind.
Und auch er spricht nur von den Schreibern der Sprache (die Schreiberinnen sind im Zweifelsfall wohl auch bei ihm mitgemeint…). Und das, obwohl er uns verdeutlicht, wie die Sprache unsere Wirklichkeit prägt. Und er außerdem Alice Schwarzer als positives Beispiel dafür nimmt, wie man Einfluss nehmen kann: Sie habe „an der Spitze einer kleinen Gruppe von Feministinnen erzwingen können, dass jede deutsche Behörde und die meisten Unternehmen den Mitarbeitern heute bei jeder Nennung die Mitarbeiterinnen ausdrücklich zur Seite stellen.“
Ganz ohne überhebliche Ironie geht es bei Wolf Schneider leider nicht. Entsprechend äußert er sich auch zu Anglizismen und zu Kiezdeutsch. Schade!
Jetzt raten Sie aber mal, ob folgender Ausschnitt aus dem Jahr 1951 oder 2012 stammt: „Entwickeln wir mit! Halten wir die Sprache lebendig! Treten wir ihrer Verarmung und Verschandelung entgegen, und hören wir auf, vor jedem modischen Unfug in die Knie zu gehen.“
Diese Aufrufe stammen von Wolf Schneider. Und es sind nicht die einzigen Sätze, die mich ärgern (wie Sie sich mittlerweile denken können!). Es ist unter anderem auch das Tucholsky-Zitat, das nicht nur titelgebend ist, sondern mit dem er außerdem seine Stil-Einführung beendet:
„Die Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf!“ Das halte ich für fragwürdig, weil viel zu einseitig, denn es suggeriert einen permanenten Kampfkontext. Sprache ausschließlich zum Angriff oder zur Verteidigung?
Verrückt – aber auch hier eine gewisse Parallele zu Reimers: „Haben Sie Charakter? Wenn Sie keinen haben (…), dann hat es keinen Sinn mit der Arbeit anzufangen. Ich kann Ihnen dann nur den guten Rat geben: verbrennen Sie das Buch.“ Selbst heute ist man noch vorsichtig, irgendetwas zu sagen, das mit der Bücherverbrennung assoziiert wird. Wie war das 1951?
Und während dieser Blogeintrag immer länger und länger geworden ist, habe ich mich gefragt: reagiere ich übertrieben?
Was meinen Sie?
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