26. Mai 2017

DU SIEHST MICH

An diesem Wochenende findet der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin statt und überall sind die orange farbenen dünnen Schals zu sehen, die die Teilnehmer*innen tragen.

Die diesjährige Losung „Du siehst mich“ beschäftigt mich gedanklich, seit ich vor kurzem davon gelesen habe. Meine ersten Assoziationen waren eher negativer Art, gingen in Richtung Überwachungskameras und Big Brother is watching you.

Das hat mich erschreckt und doch war es so (wenngleich es sicherlich auch an den beiden comichaft gezeichneten Augen lag, die als grafisches Element den Spruch ergänzen) und hat mir verdeutlicht, in welcher Medienrealität ich lebe.

In der offiziellen Pressemitteilung zu diesem Vers aus dem 1. Buch Mose steht: „‘Du siehst mich‘ ist ein Satz, der über den biblischen Kontext hinaus auch heute Anerkennung, Wertschätzung und Zuwendung aussagt.“

Ja, wie wichtig das ist! Und natürlich nicht nur in speziellen Situationen, sondern gerade auch im Alltagskontext.

Als ich heute in der U9 Richtung Rathaus Steglitz eine Familie mit zwei kleinen Kindern sehe, die einen Stadtplan in der Hand halten, der offensichtlich im Rahmen des Kirchentags verteilt wurde, denn die Losung ist draufgedruckt, spreche ich die Eltern an und frage sie, was für sie dieses Wort bedeutet.

Die Frau antwortet nach einer kurzen Pause: „Dass Gott mich ansieht…dass er mich kennt und so annimmt wie ich bin.“

Genau so sagt sie es und besser könnte man es wohl nicht ausdrücken.

Ich selbst bin nicht gläubig, aber das spielt keine Rolle. Mir ist es ebenfalls wichtig, andere Menschen zu sehen und sie anzunehmen, wie sie sind. Manchmal gelingt mir das gut, manchmal nicht so gut. Und gerade wenn es mir nicht so gut gelingt, wie ich es mir wünsche, dann lächle ich mir trotzdem innerlich zu und versuche, in diesem Augenblick auch mich selbst zu sehen und anzunehmen: in meiner Unperfektheit.

Am Walther-Schreiber-Platz steige ich aus und gehe auf der Rhein-Straße an einem Beauty-Salon vorbei. Er hat noch geschlossen, aber innen an der Wand kann ich einen großen Spruch lesen, ebenfalls eine Losung gewissermaßen: „Zwinker’n mit einem weißen Lächeln.“ steht da.

Normalerweise würde mich der Apostroph im Wort Zwinkern beschäftigen, aber heute nicht. Heute ersetze ich stattdessen das „ß“ durch ein „s“ und schon bin ich bei Gott… und bei uns Menschen. Und hier bleibe ich… und sende Ihnen ein Lächeln.

 

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