EFFEKT vs WIRKUNG
Vielen Dank für Ihre Rückmeldungen zu den „wahren Worten“, über die ich letzte Woche geschrieben habe. Auch für eine kritische Stimme, die anmerkte, dass man in diesen Tagen mit dem Ausdruck „neue Welt“ vorsichtig sein sollte.
Umso hellhöriger war ich, als ich vor wenigen Tagen im ICE von Stuttgart nach Berlin neben einem älteren Mann saß, auf dessen Klapptischchen einige handgeschriebene A4 Blätter lagen. Mit einem Kugelschreiber strich er immer wieder Wörter durch und fügte Ergänzungen ein.
„Ich fahre zu einem runden Geburtstag. Nelli wird 80. Meine älteste Schulfreundin. Ich soll eine Rede halten,“ erklärte er mir, als eines der Blätter von seinem Tischchen rutschte und auf meinem Schoß landete. Er lächelte und sagte nicht ohne Stolz in der Stimme: „Ich habe ein paar kluge Sprüche eingebaut. Das wirkt immer.“
Natürlich war meine Neugier geweckt und ich wollte wissen, was er unter klugen Sprüchen versteht. Da ich allerdings keine Zeit für ein Gespräch hatte (ich wollte noch jede Menge Bachmann-Lektüre bewältigen…), habe ich mir erlaubt, stattdessen im Geheimen auf seine glücklicherweise leserliche Schrift zu blinzeln, auf der Suche nach den klugen Sprüchen. Diese waren leicht auszumachen, denn der Herr hatte sie in Anführungszeichen und ein wenig eingerückt notiert.
Diese vier konnte ich lesen:
- „Die Zeit ist ein wundersames Ding.“
- „Es ist ein großer Vorteil im Leben, den Feinden, von denen man lernen kann, möglichst früh zu begegnen.“
- „Wo nehme ich bloß die Zeit her, soviel nicht zu lesen?“
- „Eigentlich bin ich ganz anders. Nur komme ich so selten dazu.“
Was halten Sie von diesen vier Zitaten? Kluge Sprüche? Vielleicht sogar wahre Worte? Oder sind sie dafür zu aphoristisch? Und: kann ein Aphorismus überhaupt ein wahres Wort sein oder ist er dafür zu sehr auf kurzfristigen Effekt angelegt? Im Gegensatz zum wahren Wort, welches vielmehr auf langfristige Wirkung zielt?
zurück