01. Dezember 2023

ERROR 451

Als ich vor wenigen Tagen in Berlin in den ICE 577 Richtung Stuttgart gestiegen bin, wusste ich noch nicht, dass ich in diesem Zug circa zwei Stunden später spontan einen mir unbekannten Mann durch mehrere Wagen verfolgen würde (drum ist das Foto unscharf).

Einen Mann, der an meinem Sitz vorbeigehuscht ist und dessen Art, seine Lektüre spazieren zu führen, mich quasi zum Verfolgen gezwungen hat. Wie praktisch: man hat die Hände frei, das Buch, das man gerade liest, immer bei sich (vorausgesetzt, man trägt einen Gürtel) und man muss diesen Gürtel passend zum jeweiligen B(a)uchumfang einfach nur enger oder weiter schnallen. Wie ein Baby, das man mit einem Tuch eng auf den eigenen Rücken bindet.  

Das Baby dieses Mannes hieß Ray. Ray Bradbury, das konnte ich gerade noch lesen, bevor er sich mit einer überaus eleganten Drehung wieder in seinen Sitz geschraubt und das Buch dabei NICHT aus dem Gürtel genommen hat, was vermutlich nur bei dünnen Taschenbüchern funktioniert. Aufgrund von Coverfarbe und Schrift nehme ich an, dass es sich erstens um Bradburys Science Fiction Fahrenheit 451 und zweitens um die Heyne Taschenbuch Ausgabe handelt, denn diese umfasst lediglich 208 Seiten. (Keine Sorge, ich weiß das nicht auswendig, ich recherchiere lediglich für mein Leben gern).

Bradburys Buch, das zu den berühmtesten Dystopien des 20. Jahrhunderts gehört, spielt in einer Zukunft, in der das Lesen von Büchern unter Strafe steht. Die Feuerwehr spürt alle noch existierenden Bücher auf und verbrennt diese, was bei Papier ab 232 Grad Celsius = 451 Grad Fahrenheit funktioniert, deshalb der Titel dieses berühmten Buches. Die kulturelle Bedeutung eines Titels oder Autors lässt sich übrigens nicht nur daran erkennen, wie oft es gelesen und zitiert wird, sondern unter anderem auch daran, wie häufig Titel und Autor für buchferne Dinge verwendet werden. Bradbury ist ein gutes Beispiel dafür. In der Serie Star Trek beispielsweise heißt ein Sternenflottenraumschiff Bradbury. Die NASA hat der Landestelle ihres Mars Science Laboratory den Namen Bradbury Landing gegeben und ein Google-Mitarbeiter hat nach dem Tod von Bradbury im Jahr 2012 den offiziellen Vorschlag gemacht, einen eigenen HTTP-Code für Websites einzuführen, die zensiert wurden und nicht angezeigt werden dürfen: Error 451. Tatsächlich wurde diese Fehlermeldung drei Jahre nach Bradburys Tod aktiv. 

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