GEDICHTE ALS TERRORWAFFE
In dieser Woche habe ich von Hamburg aus gearbeitet und hatte die Gelegenheit, Proben für ’Himmel’, ein Stück von Wajdi Mouawad, zu verfolgen, das am 20. Februar am Jungen Schauspielhaus Hamburg Deutschlandpremiere haben wird. ’Himmel’ handelt von einem Team aus Geheimdienstmitarbeiter*innen, die die globale Kommunikation auf der Suche nach versteckten Botschaften scannen und die versuchen, die Nachrichten einer Terrorgruppe zu entschlüsseln, um bevorstehende Anschläge zu verhindern. Dabei entdeckt ein junger Dekodierungsexperte, dass global vernetzte Terroristen Gedichte nutzen, um ihre Anschlagspläne zu verschlüsseln.
Das Stück untersucht das Verhältnis von Kunst und Gewalt in einer durch Terror und Überwachung tief verunsicherten Welt. So steht es auf der Website des Hamburger Schauspielhauses. Und außerdem steht da die Frage: kann Schönheit Zerstörung hervorbringen?
Ihnen geht es vermutlich wie mir: das Thema Terrorismus ist täglich präsent. In all seinen Facetten (siehe auch mein Blogeintrag vom 24. Januar). Eine davon ist die Verbindung von Terror und Kunst. Und diese Verbindung war in meiner vergangenen Woche für mich sehr spürbar.
Erstens durch dieses Theaterstück, das im Übrigen eine interessante thematische Verbindung zum aktuellen Kinofilm The Imitation Game über den Kryptoanalytiker Alan Turing hat.
Zweitens in Erinnerung an die Ausstellung CONFLICT TIME PHOTOGRAPHY, die ich im Januar in der Londoner Modern Tate gesehen habe: beeindruckend vielschichtige Fotos von Profis und Laien zu kriegsbezogenen Themen.
Und drittens durch die aktuelle Ausstellung des Universalmuseums Joanneum in Graz: Damage Control. Art and Destruction Since 1950. Ich bin rein zufällig (zufällig?) auf dem Museumsblog gelandet und las:
„Kunst ist und war immer ein Spiegel der Gesellschaft in der sie entstand; Themen wie Verfall, Gewalt oder Chaos prägten die westliche Kunstschaffung der letzten Jahrzehnte. (…) Die Ästhetik der Zerstörung spielt eine zentrale Rolle, sei es abseits von politischer Kritik oder (zumeist) als Verstärkung ebendieser. Diese Schönheit sieht man im Film über nukleare Detonationen von Harold Edgarton oder den Bildern von Arnold Odermatt. Ganz anders wirken Andy Warhol’s Drucke eines Elektrischen Stuhls, jede Farbe verändert den Ausdruck und somit den Blick und das Gefühl des Betrachtenden. Das Faszinosum aber, dass Zerstörung etwas Wundervolles hervorbringt bleibt während der Ausstellung immer im Hinterkopf.“
Als ich das las, musste ich an Karlheinz Stockhausen denken und das, was er über die Terroranschläge des 11. September 2001 gesagt hat: \“Was da geschehen ist, ist – jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat. Dass Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nicht träumen könnten, dass Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch für ein Konzert und dann sterben. Das ist das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos.“
Mich deprimiert das. Und es macht mich nachdenklich. So will ich heute mit den ersten Zeilen eines Gedichts von Erich Fried enden:
Worte
Wenn meinen Worten die Silben ausfallen vor Müdigkeit
und auf der Schreibmaschine die dummen Fehler beginnen
wenn ich einschlafen will
und nicht mehr wachen zur täglichen Trauer
um das was geschieht in der Welt
und was ich nicht verhindern kann
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