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Raymond Queneaus Stilübungen ist eines der Bücher, die mich seit langem in immer neuen Zusammenhängen begleiten. Vor rund 25 Jahren habe ich es für meine Vordiplomsprüfung im Bereich Literaturwissenschaft gewählt und letztes Jahr beispielsweise war es Inspiration für mein Online-Schreibseminar GOLDEN WORDS zum Thema Stil.
In seinen Stilübungen hat Queneau 1947 die Beschreibung einer kleinen unscheinbaren Begebenheit in einem Autobus in 108 Stilen variiert. Die deutsche Übersetzung von 1961 wurde zwar 1990 revidiert, dennoch sind solch ältlich wirkenden Begriffe wie „Überzieher“ statt „Mantel“ geblieben.
Dies haben die beiden in Berlin lebenden Übersetzer Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel letztes Jahr geändert und nicht nur alle 108, sondern auch weitere bis dato unveröffentlichten Varianten (neu) übersetzt.
Ich konnte die Beiden zwar nicht bei Ihrer Lesung in der wunderbaren Buchhandlung Schleicher’s in Dahlem erleben, aber ich habe einige Tage später dort ein signiertes Exemplar erworben und mit Vergnügen die übersetzerischen Varianten miteinander verglichen.
Vor wenigen Tagen nun haben die Beiden für ihr übersetzerisches Lebenswerk sowie speziell für diese Queneau-Übersetzung einen der höchstdotierten deutschen Literaturpreise (25.000 Euro) erhalten: den renommierten Straelener Übersetzungs-Preis.
In der Jury-Begründung heißt es: „Die Übersetzer schreiben diese kleine Szene mal als Traum, mal als ordinäres Geschimpfe, mal als Behördenbrief (…). Sie spielen so präzise wie übermütig mit den Formen des Sprechens und Erzählens und feiern damit den großen Reichtum unserer Sprache. Mit ihrer Begeisterung regen sie die Leser dazu an, die Welt immer wieder neu in Sprache zu gestalten.“
Mal davon abgesehen, dass es natürlich nicht die Übersetzer sind, die diese Szene „schreiben“, sondern es immer noch der Autor selbst war, macht diese Formulierung doch die Bedeutung von Übersetzungen deutlich (siehe auch mein letzter Blogbeitrag).
Die Beiden übersetzen übrigens nicht nur aus dem Französischen, sondern Schmidt-Henkel außerdem aus dem Italienischen und Norwegischen und Heibert auch aus dem Englischen, Italienischen und Portugiesischen.
Entsprechend stelle ich mir die große Sprachvielfalt der Bücher vor, aus denen sich die beiden gegenseitig vorlesen und nehme einfach mal an, dass sie dies tatsächlich tun, denn sie sind seit 2002 miteinander verheiratet.
Und im Wissen darüber finde ich es umso amüsanter, dass auf der Rück-Innenseite des Schutzumschlags der Neuübersetzung Folgendes steht: „Die mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Übersetzer (…) übersetzen gelegentlich gern gemeinsam.“
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