GESCHICHTE IN GROSSBUCHSTABEN
Es geht nicht anders: auch diese Woche steht mein Blogeintrag im Zusammenhang mit einer Zugfahrt. Dieses Mal nach Hamburg. Auf dem Weg dorthin lese ich in einer Biografie über Max Frisch, der mich in den nächsten Wochen stark begleiten wird: an der FU leite ich einen Buchclub sowie ein Tagebuch-Seminar zu Frisch. Seine Ansichten über Identität und über autobiografisches Schreiben finde ich seit langem interessant. So hat er 1960 einen kurzen Text unter dem Titel ’Unsere Gier nach Geschichten’ veröffentlicht. Hier schreibt er:
„Jeder Mensch, nicht nur der Dichter, erfindet seine Geschichten, nur daß er sie, im Gegensatz zum Dichter, für sein Leben hält – anders bekommen wir unsere Erlebnismuster, unsere Ich-Erfahrung, nicht zu Gesicht.“
Als ich vom Hamburger Hauptbahnhof mit einer S-Bahn weiterfahre, sehe ich von den Gleisen aus direkt neben dem Bahnhof die Rückseite der Kunsthalle. Für die ’normalen’ MuseumsbesucherInnen unsichtbar prangen hier zu den Gleisen hin in großen Lettern drei Worte: die eigene GESCHICHTE.
Ja, das Wort ’Geschichte’ in Versalien… die eigene Geschichte ist also GROß.
Ich bin mir unsicher, ob ich diese Worte hier bereits früher gesehen habe – weiß es Jemand von Ihnen? – oder ob sie in Verbindung mit einer der aktuellen Ausstellungen steht, fast scheint es so. UNSCHARF heißt die Ausstellung, die dem Phänomen der Unschärfe in der Kunst nachgeht und in der Gerhard Richter naturgemäß eine große Rolle spielt. In der Beschreibung zur Ausstellung heißt es:
„Wie kein anderer Künstler hat Gerhard Richter die Motive seiner Malerei durch Effekte des Verwischens und Verschleierns von Beginn an als unscharf erscheinen lassen. Er setzt das Prinzip der Unschärfe konsequent ein. (…) Dabei wirft er immer wieder die Frage auf, was ein Bild überhaupt wiedergeben kann, ob es einen Inhalt transportiert oder doch nur seine eigene verführerisch schöne Oberfläche darstellt.“
Wie ähnlich sich Richter und Frisch diesbezüglich doch sind.
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