„IM JRUNDE EJAL…“
Am Donnerstag kam der Gasmann zum Zählerstand ablesen.
Hier in Berlin sind die Gaszählerableser (im Gegensatz zu den Heizungs- und Wasserzählerablesern) meist ältere hagere Männer mit dünnem Pferdeschwanz unterm schwarzen Basecap und gelben Fingerkuppen vom jahrzehntelangen Kettenrauchen.
Unser Gaszähler befindet sich in der Küche. Angebracht in der Tiefe eines Regals hinter Stapeln von Kochbüchern, die wegzuräumen ich vergessen hatte. Das mache ich noch schnell (nein, er will kein Wasser und auch keinen Kaffee. „Nee, nur Jaszähler!“ sagt er und ich habe ein bisschen ein schlechtes Gewissen, natürlich hat er’s eilig und jede Sekunde zählt.)
„Hat man heutzutaje überhaupt noch Kochbücher? Dit findet man doch allet im Internet… wird jejoojelt.“ Ich sage ihm, dass ich Rezepte durchaus auch google, dass ich aber vor allem die Fotos in Kochbüchern liebe und ich beim Kochen gern das aufgeschlagene Buch mit Fettfingern begrapsche.
Fertig. Kochbücher sind raus.
Während er den Zählerstand in sein kleines schwarzes Gerät tippt sagt er:
„Ick hab’ ja 3000 Bücher zuhause, alle jelesen!“
„Oha! 3000?“ Ich bin ehrlich verblüfft.
„Einmal im Jahr kommen die alle raus aus den Rejalen und dann werden se abjestaubt.“
Er bewegt sich bereits Richtung Wohnungstür, aber sehr langsam (und ich freue mich, dass er es jetzt nicht mehr so eilig zu haben scheint.)
„Da gehören Sie aber zu den wenigen Menschen, die alle ihre Bücher gelesen haben.“
„Ick hab mir dat Lesen schon mit dreieinhalb Jahren selbst beijebracht,“ sagt er und erzählt, dass er in der Schule eigentlich immer Außenseiter war. Das hört sich traurig an und am liebsten würde ich mich mit ihm darüber unterhalten, aber das wäre jetzt zu privat, das ist deutlich zu spüren. Deshalb frage ich stattdessen „Was lesen Sie denn am liebsten?“
„Allet.“
„Und was davon am liebsten?“ (So schnell gebe ich nicht auf!)
„Reisebeschreibungen, Cook und so.“
„Ah, die historischen vor allem?“
„Jenau. Und Science-Fiction.“
„Super! Da können Sie mir sicher was empfehlen. Ich hab’ nämlich noch keinen Zugang zu Science Fiction gefunden. Womit soll ich denn am besten anfangen?“
„Lem und Asimov, die Klassiker. Die muss man jelesen ham.“
Er steht jetzt im Treppenhaus.
„Irgendwas Bestimmtes von denen oder sind alle ihre Bücher gut?“
„Ejal. Ick hab ooch mal ’ne Zeitlang nur Perry Rhodan Hefte gelesen.“ Und dann sagt er einen Satz, für den allein ich dankbar bin, dass ich diesem Mann begegnen durfte.
“Dit is im Jrunde ejal, wat man liest. Man zieht immer wat raus!“
Wie recht er doch hat!
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