14. April 2017

THE ANSWER MY FRIEND

Am Dienstag habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Bob Dylan live erlebt. In Hamburg, zusammen mit 7000 anderen Menschen. Bei einem Konzert seiner so genannten Neverending Tour, die seit 1988 andauert und bei der man erfahrungsgemäß nie weiß, was passieren wird. Ob er lediglich eine halbe Stunde spielen wird oder länger (es waren knapp zwei Stunden). Ob er nuscheln oder ob man ihn verstehen wird (ich habe praktisch nichts verstanden) und natürlich vor allem auch, welche Songs er spielen wird (er hat sich durch alle möglichen Gattungen wie Folk, Rock, Country und Blues gespielt und zwar vor allem anhand von Coversongs.)

Das macht mich insbesondere seit der Verleihung des Literatur-Nobelpreises an ihn nachdenklich: warum Dylan bereits seit Jahren keine eigenen Songs mehr schreibt und sich stattdessen auf die Neuinterpretation von Klassikern konzentriert.

Und was bedeutet das in Bezug auf seinen künstlerischen Ausdruck? Auf sein spezifisches Verhältnis zwischen Musik und Sprache?

Bereits in den 90-er Jahren hat er sieben Jahre lang keine eigenen Songs geschrieben.

Sind diese Phasen in erster Linie eine Art kreative Inkubationszeit? Notwendige Erholungspausen? Ausdruck von Erschöpfheit? Oder im Gegenteil von Freude an der Verbindung mit der Kreativität Anderer? Oder letztlich schlicht und ergreifend konsequenter Ausdruck individueller künstlerischer Freiheit?

Eines Mannes, der sich auf anderer Ebene konsequent eigenwillig zeigt und dadurch immer wieder auch irritiert: beispielsweise wenn er ein traditionelles Album mit Weihnachtsklassikern wie Winter Wonderland herausbringt. Oder wenn er Werbung für Starbucks macht und im Werbeclip für die Dessous-Marke Victoria’s Secret sein Gesicht und einen seiner Songs beisteuert. Oder als er letztes Jahr sein Archiv als so genannten „Vorlass“ der University von Tulsa verkauft hat. 6.000 Objekte wie Gedichte, Briefe, Filme. Für 20 Millionen Dollar.

Und nun hat er vor 13 Tagen – endlich – auch die umgerechnet 800.000 Nobelpreis-Euro erhalten, weil er – endlich – einen Vortrag für die Akademie gehalten hat, Bedingung für das Preisgeld.

Natürlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Wie gerne wüsste ich, welche Worte er zu diesem Anlass ausgewählt hat. Und ob es ihm sehr schwer oder ganz leicht gefallen ist, diese Worte zu wählen.

Ich werde es vermutlich nie erfahren.

Übrigens: der einzige Song, den ich sofort erkannt habe, war der erste Song der Zugabe: eine Neuinterpretation von Blowin’ in the Wind. Immer wieder berührend. Politisch und menschlich.

Und das ist es wohl: die Antwort auf alle Fragen, egal wie groß oder klein, sie weht im Wind.

Ich werde mein Gesicht dem Wind entgegenhalten.

zurück