30. Januar 2015

WANN IST EIN BRIEF EIN BRIEF?

briefVor wenigen Tagen habe ich von einem ehemaligen Klassenkameraden eine Mail erhalten. In deren Betreffzeile stand lediglich das Wort ’Grüße’. Als Text las ich: Viele Grüße aus Karlsruhe! Weiteres im Anhang. (Dazu noch der Name des Absenders.) Der Name der angehängten Datei lautete: BriefSandra.doc

Unabhängig davon, dass ich mich über diese Post sehr gefreut habe, frage ich mich, WAS ich eigentlich erhalten habe: eine Mail oder einen Brief? Oder beides? Für ersteres spricht, dass ich die Post in meinem Mailaccount gefunden habe, und alles, was darin zu finden ist, ist eine Mail. Aber ist es so einfach?

Für zweiteres spricht, dass die Nachricht ein geschriebener Brief ist, der genauso gut hätte ausgedruckt und per Deutsche Bundespost an mich hätte geschickt werden können. Die Nachricht als solche bleibt ja dennoch gleich: ein an mich geschriebener Brief.

Aber was genau ist eigentlich ein Brief. Oder anders gefragt: wann ist ein Brief ein Brief?

Das Wort Brief kommt aus dem Lateinischen: brevis libellus bzw. breve scriptum (epistula) und das bedeutet kurzes Schreiben. Es meint ursprünglich eine auf Papier festgehaltene Nachricht, die meist von einem Boten überbracht wird und eine für den Empfänger gedachte persönliche Botschaft enthält.

Ein paar Gedanken dazu:

1. Wenn ein Brief also im ursprünglichen Sinn kurz sein muss, was ist dann mit der landläufigen Assoziation, dass ein Brief tendentiell lang ist – jedenfalls im Gegensatz zu Mails oder sms. Das ist natürlich absurd, denn selbstverständlich gibt es Menschen, die sehr lange Mails schreiben und Menschen, die sehr kurze Briefe schreiben. Sprich: die Länge kann nicht ausschlaggebend sein.

2. Die Nachricht muss von einem Boten überbracht werden. Gut. Dieser Bote, sprich: das Transportmittel, hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert: zu Fuß, zu Pferd, in der Kutsche, auf dem Wasserweg etc. Immer war aber ein Mensch derjenige, der das jeweilige Transportmittel genutzt hat. So könnte man es auch für Briefe per Mail sehen: das aktuelle Transportmittel ist das Internet bzw. das Mailprogramm. Genauso wie man einen handgeschriebenen oder auf der Schreibmaschine getippten Brief auch als Fax verschicken kann. Der Mensch muss dieses Mittel nutzen, sprich: bedienen. Hier also im Grunde kein Unterschied. Lediglich das Transportmittel hat sich geändert.

3. Bereits zu Schreibmaschinen-Zeiten hat man eine Tastatur benutzt, wenn man einen Brief geschrieben hat; das oft genannte Argument der Handschriftlichkeit kann also ebenfalls nicht gelten.

4. Es gab schon immer Spezialformen, die sich der klassischen Definition entzogen und die dennoch als Brief bezeichnet wurden. Kartenbriefe, Aktenbriefe, Werbebriefe. Oder eine Form, die im 16. Jahrhundert üblich war und die sich der Zeitung annäherte (und im Übrigen Parallelen zu sozialen Netzwerken im sozialen Netz im Internet aufweist). Der Zeitungschronist Ludwig Salomon schrieb 1906 dazu: „Um seine Mitteilungen gleich größeren Kreisen zukommen zu lassen, richtete der Briefschreiber sein Schreiben gar bald nicht mehr nur an einen Einzelnen, sondern in der Hauptsache gleich an eine größere Anzahl von Gesinnungsgenossen.“

5. Die Deutsche Post hat bereits vor Jahren ihren so genannten E-Postbrief erfunden, eine Art Hybridpostdienst mit angeschlossener Website für den Austausch elektronischer Nachrichten über das Internet.

Wann also ist ein Brief ein Brief? Was meinen Sie?

Und natürlich: wann haben Sie Ihren letzten klassischen handgeschriebenen Brief geschrieben?

Novalis übrigens war der Überzeugung: \“Der wahre Brief ist seiner Natur nach poetisch.\“

Und diese Definition hat was, stimmt’s?

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